Hauptversammlungsthemen 2003

In der Hauptversammlungssaison 2003 werden die Sprecher der DSW wieder rund 1000 HVs besuchen. Neben allgemeinen Fragen zur Bilanzierung und den Belastungen durch Pensionen wird insbesondere die Umsetzung des Corporate Governance Kodex Hauptthema der Schutzvereinigung sein. In der Pressekonferenz stellen wir Ihnen die Hauptfragen der DSW vor.

Teilnehmer:

Herr Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer

Herr Klaus Nieding, Landesgeschäftsführer Hessen

Herr Jürgen Kurz, Pressesprecher

Es gilt das gesprochene Wort

Über 1000 Milliarden Euro haben Anleger seit dem Höhepunkt der Spekulationsblase in Deutschland verloren. Im Frühjahr 2000 hatte der Marktwert der deutschen börsennotierten Aktien knapp 1,7 Billionen Euro betragen (Quelle: Bundesbank). Ende 2002 waren es noch rund 647 Milliarden Euro. Dadurch ist die Marktkapitalisierung in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 82 Prozent auf 31 Prozent gesunken. In den USA war der Rückgang von 137 auf 105 Prozent deutlich moderater. Im Vergleich zum BIP liegt die Bewertung der amerikanischen Aktien damit dreimal so hoch wie hierzulande. Auch im Euroraum nimmt Deutschland nur einen der hinteren Ränge ein. Durchschnittlich beträgt die Marktkapitalisierung in Europa 46 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Kein Wunder also, dass der enttäuschende Kursverlauf leider auch in diesem Jahr eines der beherrschenden Themen auf den Hauptversammlungen der meisten deutschen Aktiengesellschaften sein wird. Die DSW wird den Fokus ihrer Fragen natürlich ebenfalls auf diesen Punkt richten. Daneben spielen aus unserer Sicht Themen wie langfristige Belastungen durch Pensionen oder Fragen zur Bilanzierung der einzelnen Unternehmen eine wichtige Rolle.

Das wichtigste übergeordnete Thema wird der Corporate Governance Kodex sein. Die Unternehmen müssen Farbe bekennen und sich zu dem Thema Corporate Governance klar äußern. Das Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPubG) hat die deutschen Aktiengesellschaften unter Zugzwang gesetzt. Es verpflichtet sie dazu, eine Entsprechenserklärung abzugeben, in der sie offenlegen, welche der „Soll-Vorschriften“ (Empfehlungen) des Kodex sie nicht einhalten werden. Zu diesen Empfehlungen gehört beispielsweise die Schaffung eines Prüfungsausschusses im Aufsichtsrat, oder die Einführung eines Selbstbehaltes bei der Managerhaftpflicht (D&O). Allzu groß ist die Fangemeinde des Kodex bei den deutschen Aktiengesellschaften noch nicht. Nur die wenigsten Unternehmen konnten sich dazu durchringen, den gesamten Kodex anzuerkennen. Im DAX-30 sind es mit Altana, Infineon, Schering und ThyssenKrupp gerade einmal vier.

Die Sprecher der DSW werden die Unternehmen an ihren Entsprechenserklärungen messen. Wenn Empfehlungen nicht erfüllt werden, wird sehr direkt nach dem Grund gefragt werden. Und einige Gesellschaften bieten hierfür große Angriffsflächen. So wollen Adidas-Salomon und die BASF auf die Einrichtung des Prüfungsausschuss verzichten. Adidas sieht auch für einen Selbstbehalt bei der D&O Versicherung keinen Anlass. Damit befindet sich der Sportartikler in guter Gesellschaft. Sieben weitere DAX-Unternehmen sehen hierfür ebenfalls keine Notwendigkeit.

Ein weitere Empfehlung des Kodex betrifft den Aufsichtsratsbericht. Sollten einzelne Mitglieder dieses Kontrollgremiums Interessenkonflikte haben, ist dies im Bericht des Aufsichtsrates (AR) zu vermerken. Wenn ein dauerhafter Interessenkonflikt vorliegt, soll das betreffende AR-Mitglied seinen Sitz räumen. Wir sind sehr gespannt, ob in den diesjährigen Berichten die spezielle Situation der in den Aufsichtsräten vertretenen Gewerkschaftsfunktionäre aufgenommen wird. Diese haben aufgrund ihrer Gewerkschaftstätigkeit einen klaren Interessenkonflikt. Die Bereitschaft zur Organisation von Streiks gehört zum Wesen der Gewerkschaften. Die bestreikten Unternehmen leiden unter den Folgen dieser Form des Arbeitskampfes. Verluste in Millionenhöhe sind keine Seltenheit.

So geschehen beispielsweise Ende letzten Jahres. Am 17.12.2002 rief die Gewerkschaft verdi durch ihren Vorsitzenden Frank Bsirske unter anderem zum Warnstreik auf den großen deutschen Verkehrsflughäfen auf. Es ging darum, den Lohnforderungen im öffentlichen Dienst Nachdruck zu verleihen. Ganz gezielt wurden mit Frankfurt und München die beiden Hauptdrehkreuze der Lufthansa bestreikt. Flughäfen wie Hahn oder Köln, von denen aus Wettbewerber starten, blieben von den Warnstreiks verschont. Nun ist Bsirske aber nicht nur verdi-Chef und Streikorganisator, sondern als Gewerkschaftsvertreter gemäß Mitbestimmungsgesetz auch Lufthansa-Aufsichtsrat und damit dem Wohl der Gesellschaft verpflichtet. Er nimmt nach guter deutscher Tradition in dem Aufsichtsrat der Lufthansa sogar den stellvertretenden Vorsitz ein. Der Corporate Governance Kodex sieht nun vor, dass jeder, der wesentliche Interessenkonflikte hat, sein Mandat niederlegen soll. Vor diesem Hintergrund müssten Bsirske und auch seine Gewerkschaftskollegen eigentlich ihre Plätze in den Aufsichtsräten deutscher Aktiengesellschaften räumen.

Gewerkschaftsfunktionäre in DAX-Gesellschaften

 

DGB:

Deutsche Telekom (1 Vertreter)

Thyssen-Krupp (1 Vertreter)

Volkswagen (1 Vertreter)

 

IG BCE:

Adidas (2 Vertreter)

Altana (1 Vertreter)

BASF (3 Vertreter)

Bayer (2 Vertreter)

EON (1 Vertreter)

Fresenius Medical Care (2 Vertreter)

Henkel (2 Vertreter)

Linde (1 Vertreter)

RWE ( 1 Vertreter)

Schering (1 Vertreter)

TUI (1 Vertreter)

 

IG Metall:

BMW (2 Vertreter)

DaimlerChrysler (2 Vertreter)

Infineon (2 Vertreter)

Linde (1 Vertreter)

MAN (3 Vertreter)

RWE (1 Vertreter)

Siemens (2 Vertreter)

Thyssen-Krupp (1 Vertreter)

Volkswagen (2 Vertreter)

 

Verdi:

Allianz (1 Vertreter)

Commerzbank (1 Vertreter)

Deutsche Bank (2 Vertreter)

Deutsche Börse (1 Vertreter)

Deutsche Post (2 Vertreter)

Deutsche Telekom (2 Vertreter)

EON (2 Vertreter)

HypoVereinsbank (2 Vertreter)

Lufthansa (2 Vertreter)

Metro (3 Vertreter)

RWE (1 Vertreter)

TUI (2 Vertreter)

 

Ebenfalls interessant wird die im Kodex empfohlene Evaluierung der Aufsichtsratstätigkeit. Keines der großen Unternehmen hat dieser Empfehlung widersprochen. Wir gehen also davon aus, dass diese qualitative Überprüfung des Kontrollgremiums von nahezu allen Gesellschaften umgesetzt wird. Spannend dabei ist, dass kaum ein Unternehmen genau weiß, wie diese Evaluierung durchzuführen ist.

Neben den Empfehlungen gibt es im Kodex auch noch die „Sollte-Vorschriften“ oder Anregungen, zu denen sich die Gesellschaft nicht im einzelnen äußern müssen. Prominenteste und am intensivsten diskutierte ist sicherlich die individualisierte Darstellung der Vorstandsbezüge. Im DAX-30 wollen nur Altana, Bayer, die Deutsche Bank, die Deutsche Börse und ThyssenKrupp ihren Anteilseigner diese Informationen geben. Die DSW wird die anderen AGs dazu auffordern, sich an diesen Beispielen zu orientieren. Der Besitzer des Unternehmens, die Anteilseigner, hat ein Recht auf diese Information. Nicht vergessen werden sollte auch, dass der Gesetzgeber gerade in diesem Punkt langsam die Geduld zu verlieren scheint. In dem kürzlich von Finanz- und Justizministerium vorgestellten 10-Punkte-Plan zur Unternehmensintegrität und Anlegerschutz wird offen darüber nachgedacht, die individualisierte Veröffentlichung von Vorstandsgehältern gesetzlich vorzuschreiben.

Eine Entwicklung der letzten Jahre wird sich nach unserer Erwartung auch in den Hauptversammlungen 2003 weiter fortsetzen: Der Rückgang der Präsenz. Nur noch gut die Hälfte des stimmberechtigten Kapitals war bei den 30 DAX-Werten im vergangenen Jahr vertreten. 1998 waren es im Schnitt immerhin noch knapp 61 Prozent. Eine Liste mit den DAX-30 Werten liegt Ihren Unterlagen bei.

Diese Entwicklung ist fatal. Die Gefahr von Zufallsmehrheiten steigt dramatisch. Der Stimmenanteil, den ein Großaktionär braucht, um unternehmerische Entscheidungen zu beeinflussen, wird immer kleiner, Übernahmen werden immer einfacher. Bei Unternehmen wie Adidas, BASF oder der Deutschen Bank hätten deutlich unter 20 Prozent der stimmberechtigten Aktien für eine Hauptversammlungsmehrheit gereicht. Und die ist entscheidend für die Wahl des Aufsichtsrats, der wiederum den Vorstand bestellt.

Die freien Aktionäre stehen einer solchen „Machtübernahme“ nicht ganz schutzlos gegenüber. Anfang 2001 hat der Gesetzgeber eine Schwelle von 30 Prozent des stimmberechtigten Kapitals eingezogen. Überschreitet ein Anteilseigner diesen Wert, muss er den übrigen Aktionären ein Abfindungsangebot machen. Wie die Zahlen zeigen, entsprechen die 30 Prozent nicht der deutschen Realität. Es muss über eine Reduzierung nachgedacht werden. Hierfür wäre eine absolute Herabsetzung der Schwelle auf 25 Prozent sinnvoll. Alternativ könnte auch der Durchschnitt der Präsenz der letzten drei Jahre gebildet werden. Besitzt ein Aktionär mehr als 50 Prozent dieses Mittelwerts, sollte er ein Abfindungsangebot machen müssen.

Die Gründe für den kontinuierlichen Rückgang der Präsenz sind vielfältig. In diesem Jahr kommt ein weiterer hinzu. Die meisten Sparkassen werden die Stimmrechte ihrer Depotkunden nicht mehr vertreten. Die Landesbanken, die diesen Kundenservice bisher für die Sparkassen geleistet haben, stellen die Stimmrechtsvertretung für Kunden ein. Für die Aktionärsdemokratie ist das ein harter Schlag. Schließlich sind ähnliche Tendenzen bei den Volks- und Raiffeisenbanken zu erkennen. Vor diesem Hintergrund fordert die DSW Sparkassen und Raiffeisenbanken dazu auf, ihre Kunden aktiv darauf hinzuweisen, dass es auch andere, kostenlose Möglichkeiten der Stimmrechtsvertretung gibt.

Noch entscheidender für die geringe Präsenz auf den Hauptversammlungen deutscher Aktiengesellschaften dürfte die Zurückhaltung ausländischer institutioneller Anleger sein, die ihre Stimmen häufig nicht vertreten. Hier fordert die DSW, dem amerikanischen Vorbild zu folgen. Die SEC hat kürzlich verfügt, dass institutionelle Anleger ihre Stimmrechte wahrnehmen müssen. Das wäre ein weiterer wichtiger Schritt, um Zufallsmehrheiten auf deutschen Hauptversammlungen zu verhindern und die Präsenz wieder nach oben zu bringen. Ziel ist es, dass die Hauptversammlung die echten Besitzverhältnisse des Unternehmens widerspiegelt.

Ebenfalls noch nicht im Griff ist das Problem der Wertpapierleihe. Unternehmen nutzen diese Möglichkeit, indem sie sich bei Banken Aktien der eigenen Gesellschaft leihen und sich damit ein Stimmpolster für die Hauptversammlung sichern. Das ist sicher nicht im Sinne des Schutzes der Anlegerinteressen in Deutschland.

Eine weitere Spielart der Wertpapierleihe ist für Privatanleger noch weniger zu tolerieren: Aktienfonds leihen hierbei Papiere an Hedgefonds aus. Diese nutzen die geliehenen Aktien, um den Kurs eines Unternehmens massiv zu drücken. Verlierer bei diesem Spiel sind die Anleger. Sowohl diejenigen, die in dem betreffenden Aktienfonds engagiert sind als auch diejenigen, die direkt Aktien des Unternehmens besitzen, das ins Visier des Hegdefonds geraten ist.

Unserer Ansicht nach ist ein Verhaltenskodex zur Wertpapierleihe dringend erforderlich.

Nach diesem Exkurs nun aber wieder zurück zur kommenden Hauptversammlungssaison. Neben dem großen, übergreifenden Thema der Corporate Governance spielen bei den rund 1000 HV-Besuchen, die in den folgenden Monaten vor den Sprechern der DSW liegen, natürlich die wirtschaftlichen Rahmendaten jeder einzelnen besuchten Gesellschaft eine bedeutende Rolle. Bei einigen im DAX gelisteten Unternehmen, sind seitens der DSW bereits Oppositionen geplant.

So wollen wir bei der Deutschen Telekom gegen die Entlastung der Aufsichtsrats stimmen, der sich durch die Unprofessionalität bei dem Wechsel an der Unternehmensspitze disqualifiziert hat.

Der größte deutsche Versicherungskonzern Allianz hat sich ebenfalls nicht mit Ruhm bekleckert. Die DSW wird auf der kommenden Hauptversammlung sehr deutlich auf die Versäumnisse des Unternehmens im Zusammenhang mit der Übernahme der Dresdner Bank hinweisen. Jahrelang saßen Vertreter der Allianz im Aufsichtsrat der Dresdner Bank und haben dort das Mißmanagement offensichtlich nicht erkannt, geschweige denn verhindert. Die Übernahme der Bank hat dem Ganzen dann noch die Krone aufgesetzt.

Bei der HypoVereinsbank ist vor kurzem Albrecht Schmidt gerichtlich zum Aufsichtsratsmitglied bestellt worden. Für uns stellt sich die Frage, wofür der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Bank mit dieser Ernennung belohnt werden soll. War doch Mißmanagement das einzige womit sich Schmidt in seinen Jahren als HVB-Chef hervorgetan hat.