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Themen der Hauptversammlungssaison 2003
Eines der entscheidenden Themen der Hauptversammlungssaison 2003 war die Umsetzung des Corporate Governance Kodex.
Teilnehmer:
Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer
Jürgen Kurz, Pressesprecher
Klaus Nieding, Landesgeschäftsführer Hessen
Es gilt das gesprochene Wort
Die Hauptversammlungssaison 2003 ist fast zu Ende, Zeit ein Fazit zu ziehen:
Die Sprecher der DSW haben dieses Jahr rund 850 Hauptversammlungen besucht und damit etwa 150 weniger als 2002. Für diesen Rückgang gibt es zwei Gründe:
1. Die steigende Beliebtheit des Squeeze Out. Seit dem 1. Januar 2002 haben die Großaktionäre dieses Instrument, um die restlichen Anteilseigner aus dem Unternehmen zu drängen.
Voraussetzung dafür: Mindestens 95 Prozent der Aktiengesellschaft muss in der Hand des Hauptaktionärs sein. Den privaten Aktionären muss ein Abfindungsangebot gemacht werden, das diese mittels Spruchverfahren gerichtlich überprüfen können.
Nicht immer stehen hinter solchen Entscheidungen unternehmensstrategische Überlegungen. Zunehmend geraten deutsche Mittelständler auch ins Visier amerikanischer Kapitalgesellschaften. So geschehen beispielsweise bei Edscha oder Gerresheimer Glas. Hinter der Holding-Gesellschaft, die bald 100 Prozent von Gerresheimer besitzen wird, stehen mit Investcorp und J.P. Morgan Partners zwei Private Equity Firmen aus den USA. Edscha gehört heute der US-Beteiligungsgesellschaft Carlyle Group. Über den großen Teich gelockt werden die Amerikaner durch die immer noch niedrigen Unternehmensbewertungen in Deutschland.
2. Zweiter Grund ist die große Zahl der Insolvenzen. Hier fordern die Übertreibungen des Neuen Marktes genauso ihren Tribut, wie die andauernde Konjunkturschwäche. An diesem Trend wird sich auch im kommenden Jahr nichts ändern, sind doch etliche Gesellschaften, die dieses Jahr noch auf unserer Liste standen, bereits in Insolvenz. Diesen Unternehmen dürfte aller Voraussicht nach eine in 2004 anspringende Konjunktur nicht mehr helfen.
Im nächsten Jahr wird die Zahl der Hauptversammlungen also mit großer Wahrscheinlichkeit weiter zurückgehen. Eine nennenswerte Gegenbewegung durch Börsengänge ist wohl kaum zu erwarten.
Die schwache Konjunktur trifft natürlich auch die Unternehmen, die nicht am Rande ihrer Existenz stehen. Sinkende Gewinne sind die Folge. Für die Aktionäre heißt das: Deutlich zurückgehende Dividendenzahlungen.
Nachdem bereits im vergangenen Jahr die Gewinnausschüttungen der Aktiengesellschaften um 5,2 Milliarden Euro oder 22 Prozent gesunken waren, wurden die Dividenden jetzt nochmals um 10 Prozent oder 1,7 Milliarden Euro gekürzt. Insgesamt sank die ausgeschüttete Summe damit von 18 auf gut 16 Milliarden Euro. Knapp 65 Prozent hiervon steuerten die 30 DAX-Gesellschaften bei.
Die Präsenzen befinden sich ebenfalls weiter im Sinkflug. Waren bei den Unternehmen des DAX im letzten Jahr noch durchschnittlich 51,23 Prozent des stimmberechtigten Kapitals auf den Hauptversammlungen vertreten, sind diesmal nur noch 49,14 Prozent gekommen. Erstmals ist der Durchschnitt damit unter die 50-Prozent-Marke gefallen. Mit einer Präsenz von nur 23,17 Prozent ist Adidas erneut das Schlusslicht. Knapp 12 Prozent der Aktien hätten bei dem Sportartikler ausgereicht, um die Mehrheit auf der Hauptversammlung zu stellen und damit das Sagen im Unternehmen zu bekommen.
Mit ein Grund für den Rückgang:
Sparkassen vertreten seit diesem Jahr die Stimmen ihrer Kunden nicht mehr. Damit folgen sie dem Beispiel der Volksbanken. Die DSW kann die Banken nur auffordern, ihre Kunden aktiv auf alternative, ebenfalls kostenlose Möglichkeiten der Stimmrechtsvertretung hinzuweisen. Eine solche Möglichkeit wäre beispielsweise die Vertretung durch die Schutzvereinigung. Denn klar ist, dass Zufallsmehrheiten Tür und Tor geöffnet sind, sollte die Entwicklung so weitergehen.
Die Themen des Jahres 2003:
Nicht mehr ganz vorne auf der Themenliste standen in dieser Hauptversammlungssaison die Kursverluste der letzten Jahre. Statt dessen wurde intensiv über Vergütungsfragen und den direkten Wechsel einzelner Vorstandschefs auf den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden diskutiert. Corporate Governance, hier insbesondere die vom Kodex empfohlene Effizienzprüfung des Aufsichtsrats, stand ebenfalls bei vielen Unternehmen auf der Agenda. Verstärkt ins Blickfeld gerückt hat die diesjährige Hauptversammlungssaison zudem die Tatsache, dass die Nichtentlastung von Aufsichtsräten zurzeit keinerlei rechtliche Folgen hat.
Nichtentlastung braucht Rechtsfolge
Ein Highlight aus Sicht der Schutzvereinigung war die Hauptversammlung der Lufthansa AG. Auf Antrag der DSW verweigerten die Aktionäre dem Lufthansa Aufsichtsratsmitglied und Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Bsirske, die Entlastung. Damit wurde erstmals in einer deutschen Publikumsgesellschaft ein Vertreter der Arbeitnehmerseite nicht entlastet. Bsirske hatte Ende 2002 der Lufthansa durch die Organisation eines Streiks an den Flughäfen Frankfurt und München einen Verlust in Millionenhöhe beschert.
Das Ärgerliche: Die Nichtenlastung hatte keinerlei Folgen für den Verdi-Chef. Die Lufthansa-Aktionäre werden den ungeliebten Bsirske auch in der kommenden Amtsperiode als stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden sehen. Er wurde in der konstituierenden Sitzung des Kontrollgremiums mit den Stimmen der Arbeitnehmer wieder gewählt.
Hier besteht Handlungsbedarf. Aber nicht dergestalt, wie beispielsweise Herr Breuer sich das vorstellt, der mit Hinweis auf die fehlenden rechtlichen Folgen die Abschaffung der Entlastung forderte. Die Reaktion muss genau in die andere Richtung gehen. Die Nichtentlastung eines Aufsichtsratsmitglied muss zukünftig eine Rechtsfolge haben, die wie folgt aussehen könnte:
Für den Fall, dass ein Aufsichtsratsmitglied in den zurückliegenden fünf Jahren nicht entlastet wurde, sollten hervorgehobene Ämter wie Vorsitz, stellvertretender Vorsitz oder Mitgliedschaft in einem Ausschuss tabu sein. Außerdem darf der Betroffene nicht mehr zur Wiederwahl aufgestellt werden.
Der schnellste Weg zur Durchsetzung dieser Forderung ist sicher der Weg über den Corporate Governance Kodex. Die Rechtswirkung könnte als Empfehlung in den Kodex aufgenommen werden. Unternehmen, die dagegen verstoßen, wären gezwungen, dies in ihrer Entsprechenserklärung zu begründen. Wenn das nicht ausreichen sollte, ist auch eine gesetzliche Lösung vorstellbar. Hierfür bietet sich eine entsprechende Ergänzung des Paragraphen 100 Aktiengesetz an, in dem die Gründe zusammengefasst sind, warum jemand nicht Aufsichtsratsmitglied werden kann.
Vergütungsfragen führen zu Missstimmung
Natürlich wurde auch über Geld gesprochen. Zu hohe Managergehälter stoßen immer öfter auf den Widerstand der Aktionäre. Besonders deutlich wurde dies in Großbritannien. Dort haben die Anteilseigner seit Jahresbeginn die Möglichkeit, über die Gehaltsforderungen der Vorstände im Rahmen der Hauptversammlung abzustimmen. Das Ergebnis ist zwar nicht bindend, zeigt aber trotzdem Wirkung. Erstes Opfer war der Vorstandschef des britischen Pharmaherstellers Glaxo Smith Kline, Jean Pierre Garnier. Er scheiterte mit dem Versuch, sich sein Jahressalär verdoppeln zu lassen.
So weit sind wir in Deutschland noch nicht. Aber der Corporate Governance Kodex hat kürzlich die Veröffentlichung der individualisierten Vorstandsgehälter zur Empfehlung gemacht. Unternehmen, die auf die geforderte Transparenz verzichten, müssen das in ihrer Entsprechenserklärung begründen. Dieser Schritt wird schon nächstes Jahr deutlich mehr Offenheit bei der Vorstandsvergütung bringen.
Was die Vergütung selbst angeht, ist das gewählte Modell entscheidend. Die Managergehälter können sich durchaus am hohen zeitlichen Aufwand und der großer Verantwortung der Vorstände orientieren. Sie müssen aber auch die Entwicklung des Unternehmens darstellen. Steigende Gehälter bei sinkenden Gewinnen darf es nicht geben. Die DSW hält daher einen variablen Anteil von mindestens 60 Prozent für empfehlenswert. Als Kennzahl für den erfolgsbezogenen Teil ist die Dividende nicht der geeignete Gradmesser. Wir befürworten eine starke Kopplung an das erwirtschaftete Ergebnis des Unternehmens.
Schlechter Zeitpunkt
Ein wichtiges Thema dieser Hauptversammlungssaison war die Bezahlung der Aufsichtsräte. Fast alle großen Aktiengesellschaften haben hier kräftig zugelegt. Leider haben die meisten Unternehmen wenig Sensibilität bewiesen, was den Zeitpunkt angeht. Vor dem Hintergrund von Entlassungen und sinkenden oder gar ausfallenden Dividendenzahlungen konnte dieser kaum weniger geeignet sein.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass genau wie bei den Vorstandsgehältern, das gewählte Modell entscheidend ist. Die Bezahlung sollte aus einem fixen und einem erfolgsabhängigen Teil bestehen. Der fixe Anteil kann rund 70 Prozent betragen. Der variable Anteil orientiert sich am Unternehmenserfolg, der hierfür sowohl kurzfristig als auch langfristig zu messen ist.
Als Kennziffer für die Messung des kurzfristigen Erfolgs bieten sich Dividende oder Ergebnis pro Aktie an. Üblich ist zurzeit eine Kopplung an die Dividendenhöhe. Aus Sicht der DSW sollten die Unternehmen allerdings das Ergebnis je Aktie als Kennziffer wählen. Die Dividende ist ungeeignet, da der Aufsichtsrat selbst die Höhe der Ausschüttung an die Aktionäre festlegt. Der Aktienkurs ist ebenfalls nicht als Bezugsgröße geeignet.
Die an den langfristigen Unternehmenserfolg gekoppelte Tantieme sollte nur alle vier Jahre zur Auszahlung kommen. Voraussetzung wäre eine Wertsteigerung, die in diesem Zeitraum über Plan gelegen hat. Als unternehmensinterne Kennzahl bietet sich hierfür beispielsweise EVA (Economic Value Added) an.
Positiv zu bewerten ist der Trend zum Berufsaufsichtsrat. Eine Studie der DSW hat ergeben, dass die große Mehrzahl der Entscheidungsträger in den Aufsichtsräten der DAX-Gesellschaften dieser Kategorie angehören. Vorbei sind die Zeiten, in denen aktive Vorstände die Aufsichtsräte prägten.
Schwieriger Wechsel
Die Hauptversammlungssaison 2003 war eine Saison der Aufsichtsratswahlen. Entsprechend häufig war zu beobachten, wie Vorstandschefs ohne Umweg auf den Posten des Aufsichtsratsvorsitzenden ihrer Gesellschaft wechselten.
Die Krönung eines Lebens als Vorstandschef kann aber nicht automatisch der Vorsitz im Aufsichtsrat sein. Es macht allerdings auch keinen Sinn, Leute mit soviel Know-how zwangsweise aus den Unternehmen zu drängen. Dies gilt umso mehr, als die Zahl der geeigneten Kandidaten nicht allzu groß ist. Hier wäre es daher sinnvoll, den Corporate Governance Kodex um eine Empfehlung zu ergänzen, die sich mit diesem Sachverhalt befasst. Ziel muss es sein, dass der direkte Wechsel eine vom Unternehmen zu begründende Ausnahme wird. Eine Automatik darf es nicht geben.
Effizienzprüfung notwendig aber kaum durchgeführt
Der Corporate Governance Kodex und die von den Unternehmen abgegebenen Entsprechenserklärungen wurden ebenfalls thematisiert. Hierin müssen die Gesellschaften Gründe angeben, wenn sie eine Empfehlung des Kodex nicht umsetzen. Verwirrung gab es dabei insbesondere um die Effizienzprüfung für den Aufsichtsrat. Zwar ist uns keine Aktiengesellschaft bekannt, die dieser Soll-Vorschrift des Kodex in der Entsprechenserklärung widersprochen hat, doch es herrscht eine gewisse Verunsicherung. Häufig ist den Unternehmen nicht klar, wie die Prüfung in der Praxis durchzuführen ist. Oft wurden wir mit der Forderung konfrontiert, Hilfestellung zu geben. Genau das hat die DSW jetzt getan. Wir haben einen „Leitfaden zur Effizienzprüfung des Aufsichtsrates“ erarbeitet. In über 100 Fragen werden die wichtigsten Themenbereiche erfasst. Die so erfassten Daten bieten einen guten Überblick über die Arbeitsweise und die Effizienz des Aufsichtsrates.
Das waren, zusammengefasst, die Punkte, die aus unserer Sicht die diesjährige Hauptversammlungssaison beherrscht haben.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.