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US-Sammelklagen
Ein Thema, dass erst in diesem Jahr so richtig auf die Agenda der DSW gekommen ist, uns aber sicher noch eine ganze Weile begleiten wird, sind US-Sammelklagen, so genannte class action. Die für uns interessanten Klagen richten sich gegen Aktiengesellschaften, die Kapitalmarktteilnehmer falsch oder unvollständig informiert haben. Ein weites Feld, befassen sich von den rund 8000 zurzeit in den USA anhängigen Sammelklagen doch etwa 2800 mit solchen Vorwürfen.
Teilnehmer:
Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer
Jürgen Kurz, Pressesprecher
Marc Tüngler, Landesgeschäftsführer NRW
Es gilt das gesprochene Wort
Ein Thema, dass erst in diesem Jahr so richtig auf die Agenda der DSW gekommen ist, uns aber sicher noch eine ganze Weile begleiten wird, sind US-Sammelklagen, so genannte class action. Viele werden diesen Begriff von spektakulären Verfahren gegen die Tabakindustrie oder auch gegen einzelne Pharmaunternehmen kennen. Die für uns interessanten Klagen richten sich gegen Aktiengesellschaften, die Kapitalmarktteilnehmer falsch oder unvollständig informiert haben. Ein weites Feld, befassen sich von den rund 8000 zurzeit in den USA anhängigen Sammelklagen doch etwa 2800 mit solchen Vorwürfen.
Die Chancen, dass tatsächlich Geld fließt sind dabei durchaus vorhanden. Schließlich sind in den USA im Gegensatz zu Deutschland Vorstände gegenüber ihren Aktionären direkt haftbar, wenn sie grob fahrlässig oder gar vorsätzlich falsch informieren. Zum Glück wird sich die deutsche Rechtslage in diesem Bereich mit dem geplanten Kapitalmarktinformationshaftungsgesetze (KapInHaG) der amerikanischen annähern. Mit dem KapInHaG wird auch hierzulande die direkte Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten für grob fahrlässige und vorsätzliche Falschinformation des Kapitalmarktes eingeführt.
Zugelassen werden in den USA Sammelklagen wenn:
- aufgrund der Vielzahl der Geschädigten eine Streitgenossenschaft undurchführbar ist.
- den Ansprüchen der Gruppenmitglieder gemeinsame Tatsachen- und Rechtsfragen zugrunde liegen.
- die gemeinsamen, alle betreffenden Fragen, wichtiger sind, als einzelne Mitglieder betreffende spezielle Fragestellungen.
- die class action anderen Arten der gerichtlichen Streitentscheidung überlegen ist.
Über die Zulassung entscheidet das jeweils zuständige Gericht. Die Richter legen auch fest, ob die Ergebnisse des Verfahrens nur für US-Amerikaner oder für alle Betroffenen gelten. Gerade in Fällen, in denen viele nicht US-Bürger geschädigt wurden, ist es seitens der Richter mittlerweile üblich, die Verfahren für alle zu öffnen.
Dass es dabei um wirklich große Summen geht, hat beispielsweise der mittlerweile abgeschlossene Fall des amerikanischen Telekom-Ausrüsters Lucent Technologies gezeigt. 563 Millionen Dollar muss das Unternehmen seinen Aktionären zahlen. Dazu wurde der Konzern von einem US-Gericht verdonnert, weil er Ende 1999 weit bessere Ergebnisse versprach, als im Januar 2000 vorlegt wurden.
Trotz dieses großen Anreizes zeigen Studien, dass im Durchschnitt lediglich 25 bis 30 Prozent der berechtigten Anleger ihre Ansprüche geltend machen.
Am Fall Worldcom, zu dem Herr Tüngler im Anschluss noch etwas mehr sagen wird, wird deutlich, dass die Adressaten der Klagen nicht nur die Unternehmen selbst sind, sondern zunehmend auch beteiligte Banken.
Der große Vorteil dieser speziellen Form der amerikanischen Schadenersatzklage ist die Tatsache, dass alle betroffenen Anleger profitieren können, wenn es zur Zahlung eines Ausgleichs kommt. Voraussetzung ist, dass die Papiere in einem von den Richtern festgelegten Zeitfenster, der so genannten „class period“, erworben wurden, und die Ansprüche rechtzeitig und korrekt angemeldet werden. Für diese Anmeldung setzen die Gerichte meist durchaus komfortable Zeitspannen fest.
Es ist – ganz im Gegensatz zu deutschem Recht – nicht notwendig, selbst geklagt zu haben. Zwar fallen bei der Beteiligung an einer solchen Sammelklage keine Kosten an, zumindest wenn das Verfahren von einer US-Rechtsanwaltskanzlei geführt wird, sinnvoll ist eine solche Beteiligung aber tatsächlich nur dann, wenn der Geschädigte seinem speziellen Standpunkt vor Gericht Gehör verschaffen will. Für Privatanleger ist ein solches Vorgehen in der Regel nicht notwendig.
Hierzulande haben Aktionäre in vergleichbaren Fällen aufgrund der geltenden Gesetzeslage nur wenig Chancen auf die Erstattung ihrer Verluste. Deutsche Anleger müssen nicht nur beweisen, dass eine Information falsch war, zusätzlich muss zweifelsfrei feststehen, dass die Papiere nur aufgrund dieser Desinformation gekauft wurden. Erst wann dieser kausale Zusammenhang belegt werden kann, entscheiden die Gerichte auf Schadenersatz. In den aller meisten Fällen gelingt dieser Nachweis nicht. Hieran wird wohl erst das bereits erwähnte KapInHaG etwas ändern.
Ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen der Situation der deutschen und der US-amerikanischen Rechtslage ist, dass deutsche Anleger, wenn sie hierzulande Schadenersatzansprüche durchsetzen wollen, auf jeden Fall aktiv werden müssen. Wer nicht aktiv wird, also klagt oder ein Schlichtungsverfahren einleitet, ist vom Ablauf der Verjährungsfrist bedroht.
Zwar wird es in diesem Bereich mit dem Kapitalmusterverfahrensgesetz (KapMuG) im kommenden Jahr eine deutliche Verbesserung geben. Doch an den Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung wird auch diese Änderung nicht rütteln. Zum Glück, schließlich wünscht niemand sich eine Klageindustrie, wie sie sich in den USA entwickelt hat.
Mit dem KapMuG wird die Bündelung von Verfahren möglich, die den gleichen Sachverhalt zum Inhalt haben. Ein schönes Beispiel, wo die Vorteile liegen, ist das aktuell am Landgericht Frankfurt anhängige Telekom-Verfahren. Dem zuständigen Richter liegen rund 4000 Klagen vor, hinter denen etwa 15000 Kläger stehen. Obwohl es immer um den gleichen Sachverhalt geht, muss jede Klage komplett bearbeitet werden, für jede Klage eine eigene Beweisaufnahme durchgeführt werden. Der Zeitaufwand ist enorm hoch. Mit dem KapMuG wird das nicht mehr notwendig sein. Dann kann der Richter zwei Fälle zu Musterklagen erklären und das gefällte Urteil auf alle Kläger übertragen. Es wird allerdings dabei bleiben, dass nur diejenigen eine Chance auf Schadenersatz haben werden, die aktiv werden. Die amerikanische Variante der Sammelklage wird es in Deutschland also nicht geben.
Nach diesen Ausführungen zum Zustandekommen und Ablauf von US-Sammelklagen möchte ich Ihnen nun einige der zurzeit laufenden Verfahren, die auch für deutsche Anleger bares Geld bedeuten können, vorstellen:
Größter aktuell vorliegender Fall ist Worldcom. Aufgeflogen waren die Falschbuchungen in Rekordhöhe im Juni 2002. Um 11 Milliarden Dollar hatte der US-amerikanische Telekomkonzern Worldcom insgesamt seine Gewinne künstlich aufgebläht. Die Folgen waren drastisch: Der Aktienkurs fiel innerhalb weniger Minuten ins Bodenlose. Nur einige Monate später musste das Unternehmen Insolvenz anmelden. Führende Worldcom-Manager wurden verhaftet und verurteilt. Was von dem Ex-Konzern noch zu retten war, firmiert heute unter dem Namen MCI.
Etwa 20 Sammelklagen sind in diesem Zusammenhang anhängig. Eine wurde im Mai durch einen Vergleich beigelegt. Der US-amerikanische Bankkonzern Citigroup, dem vorgeworfen worden war, weiter zum Kauf von Worldcom-Papieren geraten zu haben, als der Bank die katastrophale Situation des Telekomgiganten bereits bekannt war, wird geschädigten Investoren insgesamt 2,65 Milliarden Dollar zahlen. Das ist die zweithöchste Summe, die jemals im Rahmen einer US-Sammelklage ausgehandelt wurde.
Das Geld wird unter den Anlegern aufgeteilt, die Papiere in der Zeit vom 29. April 1999 bis zum 25. Juni 2002, der so genannten „class period“, gekauft und ihre Ansprüche rechtzeitig geltend machen. Seit Mitte August liegt das „proof-of-claim-and-release“-Formular vor, mit dem die Ansprüche angemeldet werden.
Das zweite amerikanische Unternehmen, das aufgrund massiver Bilanzmanipulationen traurige Berühmtheit erlangt hat, ist der Energiehändler Enron. Um 1,2 Milliarden Dollar sollen die verantwortlichen Manager die Bilanz aufgebläht haben. Der Zusammenbruch des Unternehmens, das in seinen besten Zeiten zu den zehn größten Energieunternehmen in den USA gehörte, kostete Anleger mehrere Milliarden Dollar.
Kein Wunder, dass auch hier Sammelklagen anhängig sind. Eine richtet sich übrigens wieder gegen die Citigroup, die 1,6 Milliarden Dollar hierfür zurückgestellt hat. Sollte es zur Zahlung von Schadenersatz kommen, was sehr wahrscheinlich ist, werden auch deutsche Anleger profitieren können. Vorausgesetzt, sie haben ihre Enron-Papiere in der Zeit vom 9. September 1997 bis zum 24. Februar 2003 erworben und sie melden ihre Ansprüche mit dem entsprechenden proof-of-claim-and-release-Formular an.
Ebenfalls auf der Liste steht der insolvente italienische Lebensmittelkonzern Parmalat. Konzerngründer Calisto Tanzi hat mittlerweile eingestanden, dass in den Bilanzen des Nahrungsmittelunternehmens ein Loch von etwa 8 Milliarden Euro klafft. Die italienische Staatsanwaltschaft geht sogar von bis zu 10 Milliarden Euro aus. Die class period beginnt am 5. Januar 1999 und endet am 29. Dezember 2003.
Auch deutsche Unternehmen stehen in den USA vorm Kadi. So beispielsweise DaimlerChrysler. Ähnlich dem Ex-Chrysler Großaktionär Kirk Kerkorian haben ehemalige Chrysler-Anteilseigner eine Sammelklage beim Bezirksgericht des US-Bundesstaates Delaware eingereicht, dem Gericht, vor dem auch Kerkorian geklagt hatte. Wie Kerkorian werfen die Kläger DaimlerChrysler vor, dass die "Fusion unter Gleichen" in Wahrheit eine Übernahme gewesen sei. Die Chrysler-Aktionäre hätten einen Aufschlag von mehr als 40 Prozent auf den Wert ihrer Anteile erhalten müssen. Mit der Vorspiegelung falscher Tatsachen habe DaimlerChrysler die Anleger um zehn Milliarden bis 36 Milliarden Dollar gebracht. Die class period läuft vom 17. November 1998 bis zum 17. November 2000.
Mit Infineon sieht sich ein weiteres deutsches Unternehmen US-Sammeklagen ausgesetzt. Untersuchungen des US-Justizministeriums haben ergeben, dass der Chip-Hersteller Preisabsprachen für DRAM-Speicherchips getätigt hat und damit gegen amerikanisches Wettbewerbsrecht verstieß. Zudem soll Infineon US-Aktiengesetze sowie US-GAAP-Bilanzierungsvorschriften verletzt haben.
Im Rahmen der Sammelklage wird Infineon vorgeworfen, aufgrund der Preisabsprachen auf dem amerikanischen Markt unzutreffende Umsatzzahlen veröffentlich zu haben. Dadurch seien im betreffenden Zeitraum die Aktien nicht zum tatsächlichen, sondern zu überhöhten Preisen gehandelt worden. Hier läuft die class period vom 13. März 2000 bis zum 19. Juli 2004.
Das war nur ein kleiner Ausschnitt der laufenden Sammelklagen, von denen auch deutsche Privatanleger werden profitieren können.