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DSW-Aufsichtsratstudie 2006
Macht und Einfluss der deutschen Aufsichtsräte haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Gefördert wurde diese Entwicklung in erster Linie durch die Vorfälle am Neuen Markt und die großen Bilanzskandale sowie Betrugsvorfälle in den USA. Der so genannte Sarbanes-Oxley-Act hat gerade in den Bereichen Transparenz und Risiko-Management die Anforderungen an Unternehmen, die an US-Börsen notiert sind, drastisch erhöht. Der deutsche Gesetzgeber hat ebenfalls kräftig nachgelegt.
Teilnehmer:
Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer
Christiane Hölz, DSW-Anwältin
Jürgen Kurz, Pressesprecher
Es gilt das gesprochene Wort.
Macht und Einfluss der deutschen Aufsichtsräte haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Gefördert wurde diese Entwicklung in erster Linie durch die Vorfälle am Neuen Markt und die großen Bilanzskandale sowie Betrugsvorfälle in den USA. Der so genannte Sarbanes-Oxley-Act hat gerade in den Bereichen Transparenz und Risiko-Management die Anforderungen an Unternehmen, die an US-Börsen notiert sind, drastisch erhöht. Der deutsche Gesetzgeber hat ebenfalls kräftig nachgelegt.
Besonders deutlich zeigt sich der Bedeutungszuwachs der Aufsichtsratstätigkeit hierzulande am Deutsche-Corporate-Governance-Kodex (DCGK).
So ist da beispielsweise zu lesen:
„Der Vorstand stimmt die strategische Ausrichtung des Unternehmens mit dem Aufsichtsrat ab und erörtert mit ihm in regelmäßigen Abständen den Stand der Strategieumsetzung.“
oder
„Aufgabe des Aufsichtsrats ist es, den Vorstand bei der Leitung des Unternehmens regelmäßig zu beraten und zu überwachen. Er ist in Entscheidungen von grundlegender Bedeutung für das Unternehmen einzubinden.“
Besonders im Fokus stehen dabei die Vorsitzenden der Kontrollgremien sowie die Vorsitzenden und Mitglieder der entscheidenden Ausschüsse, wie Präsidial-, Personal-, oder Bilanzausschuss. Der Kodex verlangt hier kompetente Mitarbeit an den strategischen Entscheidungen der jeweiligen Unternehmen. Um die gestellten Aufgaben wirklich erfüllen zu können, ist deshalb ein hohes Maß an betriebswirtschaftlicher Kompetenz und unternehmenspolitischer Erfahrung notwendig.
Die Bedeutung der Ausschüsse kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, schließlich werden hier Weichen stellende Entscheidungen vorbereitet und das Zahlenwerk des Unternehmens intensiv geprüft. Wichtig für den Einfluss ist also nicht, ob man in einem Aufsichtsrat sitzt, sondern welche Position dort eingenommen wird. In vielerlei Hinsicht hängt die Qualität der Arbeit eines normalen AR-Mitglieds davon ab, wie zeitnah und ausreichend Informationen aus den Ausschüssen übermittelt werden.
Grund genug, sich die Aufsichtsräte der 30 DAX-Unternehmen genauer anzusehen. Wer sind die entscheidenden Männer Deutschlands? Und wie die DSW-Studie zeigt, sind es tatsächlich fast ausschließlich Männer, die in den Kontrollgremien das Sagen haben. Auf den vorderen Plätzen des DSW-Rankings sind mit Renate Köcher und Susanne Klatten gerade einmal zwei Frauen zu finden. Frau Köcher, Geschäftsführerin des Allensbach-Instituts, sitzt bei der Allianz, BASF, Infineon und MAN im Kontrollgremium. In einem der wichtigen Ausschüsse ist sie nicht zu finden. Frau Klatten kontrolliert Altana und BMW. Bei Altana sitzt sie im Personalausschuss.
Nun aber zu den Ergebnissen der DSW-Aufsichtsratsstudie im Einzelnen. Hierzu übergebe ich das Wort an Frau Hölz.
Vorab noch etwas zur Systematik der Studie:
Untersucht haben wir die Kapitalseite der Aufsichtsräte der 30 Aktiengesellschaften die zurzeit im Deutschen Aktienindex DAX vertreten sind. Insgesamt wurden 280 Mandate überprüft, die von 205 Mandatsträgern gehalten werden. Alle diejenigen, die mindestens 10 Punkte erreichten, haben wir in das DSW-Ranking aufgenommen.
Neben Vorsitz oder einfacher Mitgliedschaft haben wir besonderes Augenmerk auf die wichtigen Ausschüsse gelegt: Den Präsidial- oder Ständigen Ausschuss, den Personalausschuss und den Bilanz- bzw. Prüfungsausschuss.
Entsprechend sieht die dem Ranking zugrunde liegende Punkteskala aus. Für den Aufsichtsratsvorsitz plus Ausschussvorsitz wurden 10 Punkte vergeben. Acht Punkte gab es für die einfache Aufsichtsratsmitgliedschaft plus Ausschussvorsitz. Sechs Punkte bekam, wer AR-Mitglied ist und in einem Ausschuss mitarbeitet. Vier Punkte wurden für die einfache Mitgliedschaft in einem der Kontrollgremien vergeben.
Um Verzerrungen zu vermeiden, kam bei denjenigen, die in einer Aktiengesellschaft in mehrere Ausschüssen sitzen, nur ein Ausschuss in die Wertung. So erklärt sich auch die Diskrepanz zwischen gewerteten und tatsächlichen Ausschussvorsitzen oder –mitgliedschaften.
Nun aber zu den Ergebnissen der DSW-Untersuchung:
Den ersten Platz belegt Manfred Schneider. Der ehemalige Vorstandschef des Chemiekonzerns Bayer sitzt in den Aufsichtsräten von sieben DAX-Gesellschaften. Bei Bayer und beim Technologieunternehmen Linde sitzt Schneider dem Gremium vor. Zudem ist er in elf der entscheidenden Ausschüsse vertreten. Viermal ist er deren Vorsitzender. So etwa im Prüfungsausschuss der Allianz oder im Personalausschuss von Bayer.
Silber geht an Gerhard Cromme. Der Vorsitzende der Corporate-Governance-Kommission führt den ThyssenKrupp-Aufsichtsrat. Bei weiteren vier Unternehmen ist Cromme Mitglied des Kontrollgremiums. Er ist in sieben der wichtigen Ausschüsse vertreten. Unter seiner Leitung tagt der Prüfungsausschuss von Siemens sowie der Präsidiums- und der Personalausschuss von ThyssenKrupp.
Knapp dahinter folgt Ulrich Hartmann, Chefkontrolleur beim Energiekonzern E.ON. Hartmann ist ebenfalls in vier weiteren Gesellschaften als Aufsichtsrat tätig. Er sitzt in vier der wichtigen Ausschüsse. Die Position des Ausschussvorsitzenden hat er im E.ON-Präsidialausschuss inne.
Insgesamt sitzen die drei Führenden des DSW-Rankings in den Aufsichtsräten von 14 der 30 DAX-Gesellschaften. Bei vier Unternehmen stellen sie den Vorsitzenden. In acht weiteren Unternehmen sind sie zumindest in den wichtigen Ausschüssen vertreten.
Die Top-Ten der Liste haben Mandate in den Kontrollgremien von 22 DAX-Unternehmen. Vor diesem Hintergrund ist aus unserer Sicht auch ein Blick darauf interessant, in welchen Gesellschaften die ersten zehn besonders häufig vertreten sind, wo sie sich also – wenn auch in unterschiedlicher Zusammensetzung – immer wieder treffen. Hierzu haben wir die Unternehmen herausgefiltert, in deren Kontrollgremien mindestens drei der Top-Ten-Aufsichtsräte zu finden sind. Das ist bei immerhin acht der DAX30-Gesellschaften der Fall. Das Ergebnis liegt Ihnen als Grafik vor. (zum Download unten angeführt)
Hieran wird sehr deutlich, wie vernetzt die Top-Kontrolleure sind.
Ein weiteres Ergebnis der DSW-Untersuchung:
Unter den ersten zehn findet sich kein aktiver Vorstand. Mit Ekkehard Schulz liegt der aktuelle ThyssenKrupp-Chef auf Rang 12. Auf den Plätzen 15 und 16 folgen Paul Achleitner, Finanzvorstand der Allianz, sowie der bei E.ON für die Finanzen zuständige Erhard Schipporeit. Beide sitzen jeweils in drei Aufsichtsräten. Die hohe Platzierung von Achleitner verwundert dabei nicht sonderlich, ist sein Hauptjob doch das Management der Beteiligungen des Versicherungskonzerns.
Für die Schutzvereinigung ist dies durchaus positiv. Sind Vorstände durch ihre Arbeit doch zeitlich extrem belastet. Da ist es schwer, Aufsichtsratsmandate vernünftig auszufüllen. Entsprechend sinnvoll ist die Vorschrift des Corporate-Governance-Kodex, die AR-Mandate für aktive Vorstände auf fünf zu beschränken. Wobei Vorsitze doppelt zählen.
Insgesamt beherrschen also die Berufsaufsichtsräte die Liste, immerhin 34 der 43 gehören in diese Kategorie. Weniger erfreulich: Neun der ersten zehn des DSW-Rankings sind direkt vom Posten des Vorstandschefs in den Vorsitz des Aufsichtsrates derselben Gesellschaft gewechselt. Einzige Ausnahme ist mit Karl-Hermann Baumann der Ex-Finanzvorstand und Ex-Aufsichtsratschef von Siemens. Baumann sitzt keinem Kontrollgremium eines DAX-Unternehmens vor. Seine hohe Platzierung verdankt der Finanzexperte der Tatsache, dass er in drei unterschiedlichen Gesellschaften den Prüfungsausschuss leitet.
Alles in allem hat die Untersuchung gezeigt, dass die Berufsaufsichtsräte weiter auf dem Vormarsch sind, was aus Sicht der DSW durchaus zu begrüßen ist.
Es zeigte sich allerdings auch, dass in den Aufsichtsräten der großen deutschen Unternehmen, die ausnahmslos eine internationale Ausrichtung haben, nach wie vor relativ wenige Ausländer vertreten sind. Dabei sieht der Corporate-Governance-Kodex vor, dass bei der Zusammensetzung des Kontrollgremiums auch die „internationale Tätigkeit“ des Unternehmens zu beachten ist. Hier stellt sich also die Frage, ob die Gesellschaften nicht öfter einmal über die Landesgrenzen hinweg schauen sollten, wenn es um die Besetzung wichtiger Aufsichtsratspostens geht.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Nachdem Sie die Ergebnisse der Studie kennen, lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, noch auf zwei Punkte hinzuweisen, wo es aus Sicht der DSW Nachholbedarf in Sachen Aufsichtsrat gibt.
Die fehlenden Konsequenzen bei einer Nichtentlastung durch die Aktionäre:
Mit einer Entlastung sprechen die Aktionäre den Aufsichtsräten ihr Vertrauen aus. Eine Nichtentlastung kommt einem Misstrauensvotum also sehr nahe. Eine rechtliche Folge ist aber nach wie vor nicht damit verbunden. Besonders deutlich wurde dieses gravierende Manko am Beispiel von Frank Bsirske. Der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi ist gleichzeitig stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Lufthansa. Daran konnte auch seine Nichtentlastung, die auf einen Antrag der DSW zurückgeht, auf der Hauptversammlung der Airline im Jahr 2003 nichts ändern.
Bsirske hatte, obwohl er als Lufthansa-Aufsichtsratsmitglied verpflichtet ist, im Interesse des Unternehmens zu handeln, einen Streik zu Lasten der Lufthansa organisiert. Trotz der darauf folgenden Nichtentlastung wurde der Gewerkschafter in der konstituierenden Sitzung des Kontrollgremiums mit den Stimmen der Arbeitnehmervertreter erneut zum stellvertretenden AR-Vorsitzenden gewählt.
Hier sehen wir Handlungsbedarf. Für den Fall, dass ein Aufsichtsratsmitglied in den zurückliegenden fünf Jahren nicht entlastet wurde, sollten hervorgehobene Ämter wie Vorsitz, stellvertretender Vorsitz oder Mitgliedschaft in einem Ausschuss tabu sein. Außerdem sollte der Betroffene nicht mehr zur Wiederwahl aufgestellt werden können.
Eine solche Rechtsfolge könnte zunächst in den Corporate-Governance-Kodex als Empfehlung aufgenommen werden. Der Vorteil dieser Lösung wäre die schnelle Umsetzbarkeit. Alternativ wäre auch eine gesetzliche Lösung vorstellbar. Falls dieser Weg gewählt wird, müsste den Aufsichtsräten allerdings die Möglichkeit eingeräumt werden, sich gegen ungerechtfertigte Nichtentlastungen zu wehren.
Der fehlende Anforderungskatalog
Dass wir Deutschen dazu neigen, alles staatlich zu kontrollieren, ist hinlänglich bekannt. So geht im Berufsleben in der Regel nichts ohne den richtigen Abschluss. Auch im kaufmännischen Bereich hat der Gesetzgeber bei einigen Berufsbildern ganz bewusst Hürden aufgestellt. So kann eben nicht jeder Vorstand einer Bank werden. Das Kreditwesengesetz schreibt dezidiert vor, welche Voraussetzungen für einen so verantwortungsvollen Posten erfüllt sein müssen. Das geht von der Prokura im Vorfeld der Ernennung bis zu einschlägigen und mehrjährigen Erfahrungen im Kreditbereich.
Umso erstaunlicher, dass bei einem so wichtigen Posten wie dem Aufsichtsratsvorsitzenden bisher auf jeglichen Befähigungsnachweis verzichtet wird. Dabei setzt eine solch zentrale Aufgabe einiges an Kenntnissen voraus. Die Einführung eines Anforderungsprofils, das zunächst im Corporate-Governance-Kodex als Empfehlung festgeschrieben werden könnte, wäre nicht nur notwendig sondern auch konsequent. Schließlich ist kaum verständlich, warum der so genannte „Financial Expert“, der dem Prüfungsausschuss des Aufsichtsrats vorsitzt, laut Kodex „über besondere Kenntnisse und Erfahrungen in der Anwendung von Rechnungslegungsgrundsätzen und internen Kontrollverfahren verfügen“ soll, Aufsichtsratschef dagegen jeder werden kann.
Die Einführung eines entsprechenden Anforderungskatalogs wäre ein wichtiger Schritt in Richtung weitere Professionalisierung der Aufsichtsratsvorsitzenden. Zu fordern ist, dass mögliche Kandidaten anhand ihres Lebenslaufes nachweisen, dass sie die notwendige Seriosität sowie Integrität mitbringen und in der Lage sind, die Komplexitäten eines Unternehmens zu verstehen. Zudem sollten sie fähig sein, eine Hauptversammlung stringent zu leiten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.