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Härtetest für Zertifikate
Eine gesetzliche Definition für strukturierte Produkte besteht in Deutschland bislang nicht. Vom Grundsatz her handelt es sich dabei um Anleihen oder Schuldverschreibungen, deren Auszahlungscharakteristik mittels zusätzlicher Elemente komplexer strukturiert wird. Die Erscheinungsformen sind vielfältig. Unter den strukturierten Produkten nimmt die Gruppe der Zertifikate einen einsamen Spitzenplatz ein. Insgesamt gibt es mittlerweile über 200.000 verschiedene Zertifikate.
Teilnehmer:
Dr. Andreas Beck, Vorstand IVA
Carsten Heise, DSW-Geschäftsführer
Jürgen Kurz, DSW-Pressesprecher
Es gilt das gesprochene Wort
Sofern Zertifikate öffentlich angeboten werden, unterliegen sie der Prospektpflicht. Die vorgeschriebenen Mindestangaben hängen unter anderem davon ab, ob eine Kapitalgarantie im Sinne einer Verpflichtung zur Rückzahlung von 100 Prozent des Nominalwertes besteht oder nicht.
Bei Zertifikaten mit Kapitalgarantie muss die Wertpapierbeschreibung unter anderem Angaben zu folgenden Punkten enthalten:
- Offenlegung der Risikofaktoren, die für die Bewertung des Marktrisikos von Bedeutung sind.
- Bei Produkten mit einer derivativen Komponente im Hinblick auf die Zinszahlung, ist eine klare und umfassende Erläuterung zu geben, wie der Wert der Anlage durch den Wert des Basisinstruments beeinflusst wird.
- Zudem sind Name und Anschrift der Institute zu nennen, die als Intermediäre im Sekundärhandel tätig sind, um Liquidität mittels Geld- und Briefkursen zur Verfügung zu stellen, sowie die Beschreibung der Hauptbedingungen dieser Zusagen.
Für Zertifikate ohne Kapitalgarantie sind unter anderem die folgenden Angaben erforderlich:
- Offenlegung der Risikofaktoren, die für die Beurteilung der hiermit verbundenen Marktrisiken wesentlich sind, insbesondere dann, wenn der Anleger den Wert seiner Anlage insgesamt oder in Teilen verlieren könnte.
- Beschreibung jeglicher Interessen – einschließlich Interessenkonflikte – die für die Emission von Bedeutung sind.
- Klare und umfassende Erläuterung, wie der Wert einer Anlage durch den Wert des Basisinstruments beeinflusst werden kann.
Die Emissionsprospekte müssen also sehr wohl dezidierte Risikohinweise enthalten. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass es sich hierbei eher um eine abstrakte Darstellung aller denkmöglichen Risiken handelt, als um eine konkrete Darstellung der wesentlichen Risikokomponenten. Besonders deutlich wird dieser Mangel bei den folgenden Punkten:
Produkteigenschaften:
Hierzu gehört im Wesentlichen die Frage, welcher Betrag unter welchen Voraussetzungen in welchem Zeitpunkt zur Rückzahlung kommt. So geht es etwa darum, ob der Basiswert des Zertifikates eine einzelne Aktie, ein Korb oder ein Index ist. Im Falle eines Indexzertifikates kann maßgeblich sein, ob es sich um einen Performance- oder einen Preisindex handelt. Ferner kann entscheidend sein, ob der Basiswert ein Währungsrisiko aufweist, oder ob das Zertifikat mit einer Kapitalgarantie ausgestattet ist.
Verlustrisiko:
Hierunter ist zum einen die Bonität des Emittenten oder eines etwaigen Garanten zu verstehen. Ferner gehört hierzu die Höhe und Wahrscheinlichkeit negativer Wertveränderungen des Basiswertes.
Fairer Wert / Kosten:
Der mittels finanzmathematischer Methoden und Modelle errechnete Gegenstands- oder Barwert ist ebenfalls häufig nicht zu finden. Gleiches gilt für im Ausgabepreis enthaltene Kosten, etwa für die Produkterstellung sowie den Vertrieb oder sonstige versteckte Kosten, die beispielsweise durch den Einbehalt von Dividenden bei Zertifikaten auf einen Kurs- oder Preisindex entstehen.
Potenzielle Interessenkonflikte:
Hier ist eine Fülle von Interessenkonflikten denkbar, die nicht im Einzelnen dargestellt werden können, auf die jedoch im Emissionsprospekt hinzuweisen ist. Als Beispiel sei erwähnt, dass umfangreiche Geschäfte, die der Emittent in dem Basiswert abschließt, dort zu Preisänderungen führen können, die ihrerseits den Wert des Zertifikates nachteilig beeinflussen.
Ein weiteres Problemfeld ist die Handelbarkeit der Papiere. Zertifikate können in der Regel an der Börse gehandelt werden. Es bestehen jedoch erhebliche Liquiditätsrisiken. Denn zum einen erfolgt die Börseneinführung von Zertifikaten häufig erst mehrere Monate nach der eigentlichen Platzierung. Zum anderen besteht an bereits eingeführten Zertifikaten in der Regel keine weitere Publikumsnachfrage, da diese nicht beworben werden. Der Emittent legt lieber neue Produkte auf, die über vergleichbare Produkteigenschaften verfügen und bei denen erneut Ausgabeaufschläge etc. verdient werden können.
Das Risiko der Illiquidität im Sekundärmarkt kann sich auch daraus ergeben, dass der Emittent seine Market-Maker-Tätigkeit, die etwa die Regelwerke der Stuttgarter und der Frankfurter Wertpapierbörse vorschreiben, vorübergehend einstellt. Auch der Zwang, verbindliche Quotes zu stellen, bringt nicht unbedingt den gewünschten Erfolg. Ist der Emittent doch nicht verpflichtet, Preise zu stellen, die dem finanzmathematisch berechneten fairen Wert entsprechen. Entsprechend undurchsichtig ist die Preisstellung für die Anleger häufig.
Aber auch die Einhaltung der Zertfikatebedingungen ist oft unklar. So sorgt etwa die Frage, ob bei Knock-out-Produkten der Basiswert einen relevanten Schwellenwert unterschritten hat oder nicht, immer wieder für Ärger.
Konkretes Verbesserungspotenzial:
1. Trotz der gesetzlichen Vorgaben an die Inhalte von Emissionsprospekten werden diese Dokumente nicht der Aufgabe gerecht, dem interessierten Anleger eine Beurteilung einzelner Produkte zu ermöglichen. Große Emittenten von Zertifikaten arbeiten häufig mit so genannten Basisprospekten, die nicht selten einige hundert Seiten umfassen. Hinzu kommt der „modulare Aufbau“ dieser Basisprospekte. Produkteigenschaften und Hinweise, die für sämtliche Zertifikatetypen gelten, werden vor die Klammer gezogen. Die spezifischen Aussagen zu einzelnen Zertifikaten, für die sich der Kunde interessiert, sind nur schwer aufzufinden. Die von vielen Emittenten verwendeten „Termsheets“ lösen dieses Problem nicht. Sie stellen letztendlich nur bessere Werbebroschüren dar, denen keinerlei Verbindlichkeit zukommt und die auch nicht der Prospekthaftung unterliegen.
Hier fordern wir klare gesetzliche Vorgaben zu einem transparenten Prospektaufbau. Ferner könnte darüber nachgedacht werden, bei Zertifikaten einen vereinfachten Verkaufsprospekt einzuführen, wie er auch beim Vertrieb von Investmentfonds zum Einsatz kommt.
2. Da Zertifikate Schuldverschreibungen sind, kommt der Bonität des Emittenten erhebliche Bedeutung zu. Hier ist festzustellen, dass es keine Mindestanforderungen an die Kapitalausstattung von Zertifikatemittenten gibt. Theoretisch könnte auch eine GmbH mit lediglich 25.000 Euro Stammkapital ein Zertifikat auflegen.
Die Bonität des Emittenten unter diesen Gesichtspunkten sowie die Bonität möglicher Garanten sollten deshalb aus Sicht der DSW in die Emissionsprospekte aufgenommen werden.
3. Zu beklagen ist die mangelnde Produktvergleichbarkeit. Die Zertifikatemittenten sind ausgesprochen kreativ, was die Bezeichnung ihrer Produkte angeht. Dem Anleger wird damit eine Vergleichbarkeit erschwert, wenn nicht sogar vollends unmöglich gemacht. Hier sollte der Grundsatz der „Produktwahrheit und Produktklarheit“ gelten.
4. Die bestehenden Preisstellungsverpflichtungen des Emittenten oder der von ihm Beauftragten reichen nicht aus. Es gibt zu viele Ausnahmen, bei deren Vorliegen die Emittenten von der Stellung von Quotes absehen können. In Einzelfällen bleiben Emittenten sogar ohne Vorliegen dieser Voraussetzungen dem Markt fern. Ein solches Verhalten kann von den betroffenen Anlegern rechtlich kaum sanktioniert werden, da die Quotierungsverpflichtung nicht aus den Emissionsbedingungen hervorgehen, sondern „nur“ aus den Börsenbestimmungen.
Aus Sicht der DSW sollten deshalb die Quotierungsverpflichtungen unmittelbar in die Emissionsbedingungen aufgenommen werden, um den Anlegern im Bedarfsfall einen klaren Anspruch zu geben.
Das Institut für Vermögensaufbau und die DSW haben eine Studie über die Renditen und Risiken von Anlagezertifikaten in verschiedenen Marktumfeldern erarbeitet.
Weitere Informationen zur Studie "Anlagezertifikate im Härtetest" finden Sie hier.