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Erfahrungen mit virtuellen Hauptversammlungen in Europa in 2020
Teilnehmer:
Jella Benner-Heinacher, stv. DSW-Hauptgeschäftsführerin
Guillaume Prache, Managing Director Better Finance
Es gilt das gesprochene Wort
(Rednerin: Jella Benner-Heinacher)
Meine Damen und Herren,
zunächst begrüße ich Sie herzlich zu unsere Online-Pressekonferenz. Heute wollen wir Ihnen die Ergebnisse einer Untersuchung vorstellen, die wir gemeinsam mit der europäischen Anlegerschutzorganisation BETTER FINANCE durchgeführt haben. Dabei ging es darum, einen Überblick darüber zu erhalten, wie ausgewählte europäische Staaten im Zuge der Corona-Pandemie die Rechtsgrundlagen für das Abhalten von Hauptversammlungen verändert haben, wie Aktionäre mit diesen Veränderungen umgegangen sind und was das für die Hauptversammlung der Zukunft bedeuten könnte.
Die Hauptversammlung ist schließlich einer der wichtigste Pfeiler der Aktionärsdemokratie. Viele Rechte der Anteilseigner einer AG hängen direkt mit diesem einmal jährlich stattfindenden Termin zusammen. So ist ohne das zustimmende Votum der Aktionäre weder die Ausschüttung einer Dividende möglich noch Kapitalmaßnahmen oder Satzungsänderungen. Auch die Bestellung des Wirtschaftsprüfers oder die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern setzen entsprechende HV-Beschlüsse voraus. Und diese Aufzählung ließe sich ohne Probleme fortsetzen.
Neben den Abstimmungen ist die Hauptversammlung zudem der einzige Ort, an dem das Management den Aktionären Bericht erstatten, direktes Feedback aushalten und Fragen beantworten muss. Nur auf den Aktionärstreffen kann es somit zu einem echten Austausch zwischen Management und Anteilseignern kommen.
Im Zuge der Covid-19-Pandemie hat sich daran einiges dramatisch verändert. Die Pandemie hatte europaweit erhebliche Auswirkungen auf die HV-Saison 2020. In fast allen Ländern wurden Versammlungen von Menschen und die Freizügigkeit eingeschränkt. Unter diesen Bedingungen war es in den meisten Staaten unmöglich, eine klassische Präsenz-HV abzuhalten.
Die Regierungen mehrerer Mitgliedstaaten beschlossen daher, die bestehenden Regeln für die Teilnahme an Hauptversammlungen zu lockern, damit Unternehmen ihre Aktionärstreffen zum einen deutlich später und zum anderen rein virtuell abhalten können, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Dies hat zu einem beispiellosen Anstieg virtueller HVs in der gesamten EU geführt. Folgen dieser Notstandsgesetze waren oft die Schwächung des Rede- und Fragerechts der Aktionäre sowie der verantwortungsvollen Ausübung ihres Stimmrechts.
Die Hauptfragen, die mit Blick auf die Corona-bedingten Veränderungen im Fokus der Untersuchung standen, lauteten daher:
Was halten eigentlich die Aktionäre von den Einschränkungen ihrer Rechten und welches Format wünschen sie sich für die HV der Zukunft?
Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der europaweiten Umfrage unter Aktionären und ihren repräsentativen Organisationen, die die DSW gemeinsam mit BETTER FINANCE durchgeführt hat, stellt Ihnen nun mein Kollege Herr Prache vor.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
Vorstellung der wichtigsten Studienergebnisse durch Guillaume Prache, Managing Director, BETTER FINANCE
Es gilt das gesprochene Wort
Jella Benner-Heinacher, stv. Hauptgeschäftsführerin der DSW (Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz)
Meine Damen und Herren,
die Umfrage zeigt, dass die Eigentümer börsennotierter Unternehmen sowohl bei der Präsenz-HV als auch bei der virtuellen HV Vorteile und Schwächen sehen.
Die klassischen Präsenz-Veranstaltungen sind für viele Aktionäre nicht leicht erreichbar. Zudem sind sie zeitaufwändig und kostenintensiv. Auf der anderen Seite bieten sie insbesondere Privatanlegern die Möglichkeit, sich mit dem Management auf Augenhöhe zu treffen und sich sowohl mit dem Management als aber auch mit anderen Aktionären direkt auszutauschen. Darüber hinaus sind Präsenz-HVs sehr transparent: Sowohl die Fragen der Aktionäre als auch die Antworten des Vorstands können von allen Teilnehmern gehört werden.
Die Teilnahme an einer virtuellen Hauptversammlung ist dagegen von überall auf der Welt möglich. Die Teilnahme ist für die Aktionäre kostengünstiger und mit weniger Zeitaufwand verbunden. Auch können die Veranstaltungen - sofern sie aufgezeichnet werden –noch im Nachhinein abgerufen werden.
Personen ohne Internetzugang oder mit schlechten IT-Kenntnissen können an virtuellen Hauptversammlungen hingegen nicht oder nur mit Schwierigkeiten teilnehmen. Zudem geht ein wesentlicher Teil der HV, nämlich die Diskussion, bei der Online-Variante verloren.
Die Umfrage hat klar ergeben, dass aus Sicht der Aktionäre ein hybrides Modell der Hauptversammlung als Zukunftsmodell für EU-börsennotierte Unternehmen dienen sollte, da es das Beste aus beiden Welten kombinieren kann. Zu diesem Zweck muss ein solches Modell sowohl für Aktionäre als auch für die Unternehmen attraktiv werden, was bedeutet, dass die Schwächen beider Formate behoben werden müssen.
Einerseits müssen Unternehmen die Gewissheit haben, dass nur Aktionäre an der Hauptversammlung teilnehmen können. Das setzt ein ordnungsgemäße und funktionierende Shareholder Identification voraus. Dass es bereits technische Plattformen gibt, die das zu leisten in der Lage sind, hat die HV-Saison 2020 in vielen Mitgliedstaaten gezeigt.
Auf der anderen Seite müssen die Aktionäre sicher sein können, dass sie gleichbehandelt werden, unabhängig davon, welche Art der Beteiligung an der HV sie wählen, sei es nun persönlich oder virtuell. Auch sollte die Entscheidung darüber, ob eine Hauptversammlung rein virtuell durchgeführt wird, von Aktionären im Wege der Satzungsänderung getroffen werden und nicht von der Unternehmensverwaltung.
Stärkung und Einbeziehung der Aktionäre waren Ziel und Zweck der meisten Gesetzgebungsinitiativen in diesem Bereich in den letzten 10 bis 15 Jahren. Die Aktionäre sollen nach dem Willen des deutschen und auch des europäischen Gesetzgebers nicht nur mehr Verantwortung übernehmen, sondern auch nachhaltig und langfristig denken und dies durch eine informierte Ausübung ihres Stimmrechts zum Ausdruck bringen. Dazu ist es wichtig, das Recht zu behalten, Fragen zu stellen, aussagekräftige Antworten zu erhalten, nachzufragen, und die Abstimmungsentscheidung dann auch auf Basis des Verlaufs der Hauptversammlung fällen zu können.
Daneben geht es um den Austausch zwischen Vorstand und Aktionären und hier insbesondere um die Möglichkeit, Fragen zu stellen und - im Falle des Falles – mit Nachfragen reagieren zu können. Denn dies sind zentrale Funktionen der Hauptversammlung, die im Übrigen das einzige Forum insbesondere für Privatanleger ist, sich mit Vorstand und Aufsichtsrat auszutauschen.
Besonders dramatisch ist der Wegfall der Möglichkeit des direkten Austausches, wenn im Rahmen einer reinen Online-HV Entscheidungen getroffen werden sollen, die massive Einschnitte für die Aktionäre mit sich bringen. Leider hat es im Jahr 2020 dazu durchaus einige unrühmliche Beispiele gegeben: So stand auf der Tagesordnung des virtuellen Aktionärstreffens der Axel Springer SE ein sogenanntes Squeeze Out, also der zwangsweise Rauswurf der noch verbliebenen freien Aktionäre. Gleiches mussten die Anteilseigner der Commerzbank erleben. Rocket Internet wiederum ließ auf der Online-Hauptversammlung Maßnahmen beschließen, die zum Abschied von der Börse führen werden. Die Abstimmung über solch einschneidende Entscheidungen auf die Tagesordnung einer rein virtuellen Hauptversammlung zu setzen, auf der es keinerlei Diskussion gibt und zudem das Frage- und Auskunftsrecht der Anteilseigner extrem eingeschränkt ist, zeigt ein Verständnis von Aktionärsdemokratie, das wir nicht nachvollziehen können.
Sollte sich also das Format der Hauptversammlung von einer Präsenz- zu einer Hybrid-HV oder einer rein virtuellen HV ändern?
Die Meinung der Aktionäre und ihrer Vertreter ist in dieser Hinsicht sehr klar:
Eine überwältigende Mehrheit beider Gruppen zieht es vor, die Präsenz-HV beizubehalten oder mit virtuellen Komponenten (hybrid HV) zu kombinieren.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!