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"Verbale Inkontinenz"
Frage: Mit Interesse verfolge ich als Aktionär die Entwicklungen bei KarstadtQuelle. Vor sechs Monaten war die Welt noch in Ordnung. Vor wenigen Wochen sprachen dann einzelne Aufsichtsratsmitglieder in den Medien von „drohender Insolvenz“. Daraufhin brach der Aktienkurs ein. Wie kann es sein, dass einzelne Aufsichtsratsmitglieder vertrauliche Informationen vor einer offiziellen Presseerklärung des Vorstandes an die Öffentlichkeit bringen und damit dem Unternehmen und seinen Aktionären so schaden?
Johannes D. aus Arnsberg
Antwort: Sie sprechen ein wichtiges Thema an: Immer häufiger finden Informationen, die nur für den Aufsichtsrat bestimmt sind, den Weg in die Presse, bevor der Vorstand Gelegenheit hat, die Öffentlichkeit zu unterrichten. Ganz offensichtlich schaffen es einige Mitglieder des Aufsichtsrates nicht, vertrauliche Informationen für sich zu behalten. Diese „verbale Inkontinenz“ stellt einen Verstoß gegen die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht des Aufsichtsrates dar. Danach sind alle Mitglieder des Kontrollgremiums zur Diskretion über erhaltene vertrauliche Informationen verpflichtet. Dabei ist nicht entscheidend, ob es sich um Arbeitnehmervertreter oder die Vertreter der Kapitalseite handelt.
Grundsätzlich gilt bei einer verschuldeten Verletzung der Verschwiegenheitspflicht, dass sich die betreffenden Aufsichtsratsmitglieder gegenüber der Gesellschaft schadenersatzpflichtig machen. Es obliegt also der AG, rechtliche Schritte einzuleiten. Soweit die Theorie. In der Praxis ist uns bisher kein Fall bekannt, in dem es zu einem Schadenersatzprozess gegen ein so pflichtwidrig handelndes Mitglied des Aufsichtsrates gekommen wäre. Ein direkter Schadenersatzanspruch des Aktionärs für die hierdurch entstandenen Kursverluste ist dagegen leider nicht vorgesehen.
Jella Benner-Heinacher